sumerische Musik: Leier und Harfe

sumerische Musik: Leier und Harfe
sumerische Musik: Leier und Harfe
 
Dass Mesopotamien eine hoch entwickelte Musikkultur hatte, wissen wir aus überlieferten Keilschrifttexten. Neben Angaben über Musikinstrumente enthalten die Texte eine Fülle von Informationen über Musiker, ihre Funktion, ihre soziale Stellung und über das Tonsystem. Darüber hinaus geben bildliche Darstellungen von einzelnen Instrumenten und ganzen Musikszenen sowie Instrumentenfunde Auskunft über die Musikpraxis. Tondenkmäler selbst fehlen, da die Musik mündlich weitergegeben wurde.
 
Zu den spektakulärsten Instrumentenfunden gehören die in den Königsgräbern von Ur gefundenen Leiern, Harfen, Blasinstrumente und Gegenschlagplatten. Zwar handelt es sich hierbei nicht um die frühesten Zeugnisse mesopotamischer Musikpraxis, wohl aber um die bedeutendsten erhaltenen Instrumente aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Erhalten haben sich in der feuchten Erde des Zweistromlandes freilich nur Instrumente aus Metall, Ton oder anderem dauerhaften Material. Von den Instrumenten aus Holz oder Bambus - Stoffen, die gänzlich zerfallen sind - konnte man jedoch genaue Rekonstruktionen erstellen, sofern das verfallene Material mit Gold- oder Silberblech bedeckt oder Teile mit Einlegearbeiten aus Muschel oder Steinmosaiken verziert waren.
 
Von diesen Instrumenten weisen vor allem die Saiteninstrumente eine solche Vollkommenheit auf, dass eine lange Entwicklungsphase vorangegangen sein muss. Mit ihrer prunkvollen Ausführung zeugen sie vom Reichtum ihrer Besitzer und von der hoch entwickelten handwerklichen Kunstfertigkeit ihrer Erbauer. Die Anfertigung dieser Leiern mit goldenen, silbernen oder bronzenen Stierköpfen, verziert mit Borten aus farbigen Mosaiksteinen und kunstvollen Einlegearbeiten, verlangte sowohl Kenntnisse in den Techniken der Holz-, Metall- und Steinverarbeitung als auch eine hohe künstlerische Begabung, dazu ein beachtliches musikalisch-akustisches Wissen um die Tonerzeugung.
 
Fast zweihundert Jahre älter als die Leiern von Ur sind die bei Grabungen in Schuruppak zutage geförderten Siegelabdrucke mit Abbildungen von Stand- und kleinen Tragleiern. Es sind dies die ältesten bisher bekannten Leierdarstellungen überhaupt. Sie zeigen Leiern mit vier Saiten und einem Resonanzkasten in der Form eines stilisierten Stierkörpers. Seit dem ersten Auftreten der sumerischen Leier im 3. Jahrtausend ist die Stierform das markanteste Merkmal (die Leier der Ägypter und Griechen hatte eine andere Form). Die erst in jüngster Zeit ermittelte sumerische Bezeichnung für Leier, »gis ze-mi«, bedeutet hölzernes Lobpreisinstrument; als Lehnwort taucht diese Bezeichnung unter »sammu« auch im Akkadischen auf. Schon bei den Abbildungen aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. lassen sich Stimmstäbe, Schalllöcher und Steg ausmachen.
 
Die ältesten Harfendarstellungen finden sich auf archaischen Schrifttafeln von etwa 3000 v. Chr. aus Uruk. In dieser frühen Bilderschrift gibt es ein Zeichen für Harfe, sumerisch »balag«, das eine dreisaitige Rundharfe darstellt. Die Form dieser Harfe entspricht ziemlich genau derjenigen, die drei bis vier Jahrhunderte später als große Standharfe oder kleine Tragharfe auf Siegelabdrücken und Weihplatten abgebildet ist. Anfangs hatte sie drei bis vier Saiten, zur Zeit der 1. Dynastie von Ur dann elf bis fünfzehn Saiten.
 
Kleine Rahmentrommeln sind in Mesopotamien seit der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends belegt. Kreisrunde Riesentrommeln, die von zwei Männern geschlagen werden, tauchen um 2600 v. Chr. auf sumerischen Objekten auf. Weitere Schlaginstrumente sind durch Becken, Gegenschlagstäbe und -platten sowie Sistren vertreten. Auffallend selten finden sich im sumerischen Musikinstrumentarium Blasinstrumente. Keilschrifttexte, Originalfunde und bildliche Darstellungen belegen jedoch die Verwendung von Längsflöten, Doppeloboen, Gefäßflöten, Trompeteninstrumenten und Hörnern.
 
Das Musikleben des Zweistromlandes wird in Keilschrifttexten seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. dargestellt. Sie enthalten neben Angaben über Musiker auch eine Vielzahl von Instrumentennamen, die über die uns bekannten Instrumententypen weit hinausgehen. Zweisprachige lexikalische Listen in sumerischer und akkadischer Sprache vermitteln die Entsprechungen von Instrumentennamen in den beiden Sprachen. In vielen Fällen ist ersichtlich, dass der betreffende Terminus als Lehnwort aus der einen in die andere Sprache übernommen wurde.
 
Wir wissen, dass es zwei Gruppen von Musikern gab. Ihre Berufsbezeichnungen lauten im Sumerischen »gala« und »nar«, als Entsprechungen im Akkadischen »kalu« und »naru«. Jede der beiden Gruppen war hierarchisch in drei Stufen gegliedert. Zum Aufgabenbereich der »gala« bzw. »kalu« gehörte das Repertoire der Trauer- und Klagegesänge im Tempel, mit denen der Zorn der Götter besänftigt werden sollte. Die »nar« bzw. »naru« waren als instrumental vielseitige Musiker für das hymnische Repertoire, die Lobpreisungen und Freudengesänge zu Ehren der Götter und der Könige zuständig. Alle Musikämter waren Männern wie Frauen zugänglich. Die Angehörigen dieser Musikergruppen standen im Dienst der Göttertempel oder des königlichen Palastes und gehörten einer ausgebildeten, ständisch gegliederten Priesterschaft an. Die hohen Anforderungen, die hinsichtlich des fachlichen Wissens, des spieltechnischen Könnens, der Beherrschung des Gesangsvortrages und des tradierten Melodienschatzes einschließlich der Texte an die Musiker gestellt wurden, machten eine gründliche, mehrjährige Berufsausbildung erforderlich. Diese erhielten sie in Tempelschulen, die es in Mesopotamien seit der frühsumerischen Zeit gab.
 
Die Musik war wichtiger Bestandteil kultischer Handlungen. Der Klang der Leier symbolisierte die machtvolle Stimme der Gottheit, die sich im Spiel der Saiten den Menschen unmittelbar und eindringlich offenbarte. Der Stierkopf verdeutlichte die Bindung des Instruments an die religiöse Sphäre. Die mit so viel Sorgfalt, handwerklichem Können und aus derart kostbarem Material hergestellten Instrumente wurden als heilige Kultgeräte angesehen, denen man Opfer brachte und deren Herstellung mit ausgedehnten Zeremonien verbunden war. Die drei schönsten erhaltenen Instrumente aus sumerischer Zeit, die goldene, silberne und eine weitere, bootsförmige Leier aus dem Königsfriedhof von Ur, wurden in der Nähe von neun überaus reich geschmückten Frauen gefunden - Musikantinnen, die im Gefolge des Herrschers diesem in den Tod gefolgt waren. Doch nicht nur im Jenseits sollte die Musik den Herrscher begleiten, sie gehörte auch zur höfischen Repräsentation wie zur Unterhaltung in den Privatgemächern des Palastes.
 
Die Akkader orientierten sich in der Musik an den Traditionen der Sumerer, modifizierten sie und fügten eigenständige Leistungen hinzu. Drei auf Rollsiegeln abgebildete Leierarten sind aus dieser Zeit bekannt: die Leier in Tiergestalt, die Leier mit freistehender Tierfigur auf dem Schallkasten und die Leier mit schmucklosem Resonanzkasten ohne Tiergestalt, deren Jocharme oben in einem s-förmigen Bogen an der Querstange enden. Die vier Saiten wurden ohne Plektron, mit den bloßen Händen angerissen. Die beiden ersten Leierarten verschwanden mit dem Ende der Akkad-Zeit, die dritte Art nahm jedoch offensichtlich von Mesopotamien aus ihren Weg in andere Länder und entwickelte sich bis zu den späteren Leierinstrumenten der Griechen weiter, die mit diesen wieder in das Zweistromland zurückkamen.
 
Die bedeutendste Neuentwicklung unter den Instrumenten der Akkad-Zeit aber ist die Laute, der Instrumententyp, auf den unsere heutigen Streichinstrumente zurückgehen. Im Vergleich zu den anderen frühen Saiteninstrumenten hat die Laute den Vorzug, dass auf einer Saite eine große Anzahl von Tönen erzeugt werden kann, indem die Saite auf eine Unterlage gedrückt und damit verkürzt wird. Dass die Berufsbezeichnungen »gala« und »nar«, das sumerische Wort »sir« für Lied sowie andere Musik und Instrumente betreffende Bezeichnungen sich in räumlich und zeitlich weit entfernten hethitischen Texten finden, ist ein weiterer Mosaikstein für den Nachweis des weit reichenden sumerisch-akkadischen Einflusses auf andere Kulturen.
 
Dr. Subhi Anwar Rashid

Universal-Lexikon. 2012.

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